Mirella Stanzione
geb. 11. März 1927 in La Spezia
Oktober 1944 – April 1945 in Ravensbrück
„MEINE MUTTER SAGTE HÄUFIG, DASS SIE DIESE HÖLLE MIT IHREN SIEBZEHN JAHREN NICHT ÜBERLEBT HÄTTE, WÄRE IHRE MUTTER NICHT GEWESEN. MIT IHR WAR SIE DIE GESAMTE ZEIT DER GEFANGENSCHAFT ZUSAMMEN.“
Der Bruder meiner Mutter war einer der Partisanen der patriotischen GAP Gruppe (Gruppi di azione patriottica). Weil ein geheimes Treffen verraten wurde, drang die Gestapo in ihr Haus ein und verhaftete alle. Meine Mutter und Großmutter wurden auf die Kommandantur gebracht, wo sie verhört wurden, ohne irgendetwas zu verraten, und kamen danach in das Gefängnis Villa Andreini, dann nach Ravensbrück.
Nach Schließung der Siemenswerke kehrte meine Mutter in das Hauptlager zurück und wurde in den letzten Apriltagen 1945 gezwungen, den Todesmarsch anzutreten. Nach einigen Tagen gerieten sie in einen Bombenangriff und sie musste sich zusammen mit ihrer Mutter und den übrigen Gefangenen auf die Erde legen. Da sie nicht gleich wieder aufstanden, gelang es ihnen, sich zu retten und dem Marsch zu entkommen. Anschließend trafen sie russische Soldaten, die sie über das Kriegsende informierten und ihnen rieten, amerikanische Truppen aufzusuchen. Im Flüchtlingslager, das die Amerikaner einrichteten, mussten sie eine gewisse Zeit warten, bevor ein Zug sie nach Italien brachte. Sie kamen nach Bozen und von dort mit einem anderen Zug nach Genua, wo eine Tante meiner Mutter lebte. Und endlich am 25. Oktober 1945 gelangten sie nach La Spezia.
Meine Mutter lebt noch, während meine Großmutter mit 99 Jahren gestorben ist.
Für meine Mutter, die bis dahin ein zufriedenes Studentenleben führte, stellte die Internierung in Ravensbrück ein gewaltsames Herausreißen aus ihrem Leben dar. Es war, als ob sie plötzlich eine unbekannte Welt betrat, in der ihre einzige Stütze ihre Mutter war. Glücklicherweise wurden sie nicht getrennt und verbrachten die meiste Zeit in Gefangenschaft zusammen mit Bianca und Bice Paganini, zwei jungen Frauen aus der gleichen Stadt, und unterstützten sich gegenseitig. Eine Beziehung, die ein Leben lang hielt.
Vor allem aber erfüllte die Internierung in Ravensbrück meine Mutter mit dem Gefühl, ein unschuldiges Opfer zu sein – und diese Bitterkeit im Herzen ist sie nie wieder losgeworden.
Ambra Laurenzi
Italien
Tochter von Mirella Stanzione